Revolutionstryptichon II
Schriftenreihe der GVS-TWA
Autor: Max Aschenbach
Nummer: VX-02 / 2025
Datum: 20.11.2025
Zusammenfassung
Dieses Dokument analysiert die Bedingungen, Möglichkeiten und Widersprüche satirischer Vernunft im Kontext politischer Stiftungspraxis und dialektischer Kritik. Es erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, wohl aber auf Klarheit im Widerspruch.
Teil 1: Realexistierende Demokratie (1 von 2)
„Der Mensch braucht eine Landkarte seiner natürlichen und sozialen Welt, ohne die er in Verwirrung geraten würde und unfähig wäre, zielgerichtet und konsequent zu handeln. [...] Ob er dabei an Zauberei und Magie als letzte Erklärung für die Ereignisse glaubt, oder an den Geist seiner Ahnen, der sein Leben und Schicksal lenkt, oder an einen allmächtigen Gott, [...] oder auch an die Macht der Wissenschaft, die eine Antwort auf alle Probleme weiß – vom Standpunkt eines Bedürfnisses nach einem Orientierungsrahmen aus macht das kaum einen Unterschied.“
Oft ist es schwer in dieser Gesellschaft, noch einen Konsens zu finden, eine gemeinsame Grundannahme, die als Basis für den Austausch taugt, ein geteiltes Wertesystem. Drum freu ich mich, wenn’s was gibt, was alle wollen, wo sich alle einig sind. Und das, so wird mir kaum einer widersprechen, ist doch unsere Demokratie. Keiner will nicht demokratisch sein. Und wenn’s attestiert wird, dann dazu, sie als Gesprächspartner zu disqualifizieren, als unzurechnungsfähig oder zumindest von jeglichem Diskurs Auszuschließende zu markieren. Vom linken Plenum bis zum dörflichen Stammtisch schilt man Undemokratisches. „Undemokratisch“ ist die Nazikeule mit gutem Ton.1
1Trifft sie Nazis, so gilt wie immer: Zurecht und je härter, desto besser. No Passaran.
Auto-, Techno-, Dinokraten, Trumps, Putins, Musks, Höckes, Weidel, Fotzenfritz -Moment!, der ist Demokrat - bestimmen die Schlagzeilen, zerscheißen wie die ominöse Taube das demokratische Schachspiel. Der Faschismus klopft ganz unverschlüsselt an die Tür. „Wir müssen unsere Demokratie schützen!“
Wer ist wir? Was ist unsere Demokratie? Was bedeutet schützen? Vor wem? „Wir“ ist das Volk. Denn um das geht’s ja wohl bei der „Herrschaft des Volkes“. Wer das Volk ist, da scheiden sich die Geister: „Wir sind das Volk!“ ruft’s durch die Straßen, meint jetzt, dass nicht alle gemeint sind und hat doch vorher als Parole zur gepriesenen Revolution getaugt. Weil‘s auch meint, dass jene, welche nicht „Volk“ sind, sondern regieren, es nicht im Sinne der Regierten tun. „Wir sind das Volk!“ ist im Glauben an die Demokratie begründet, laut der doch das Volk herrscht.
„Ihr seid nicht das Volk!“, erwidern jene zurecht, die vom Volk nichts wissen wollen. Und sind’s dann eben selbst und werden eins mit all den Demokraten, die immer noch besser sind als die Faschisten. Und je mehr die neuen Nazis werden, je höher die Wahlund Umfrageergebnisse der AfD klettern, umso wichtiger ist, dass der Rest zusammensteht, sonst sind wir nicht mehr. Dabei bleibt auf der Strecke, dass jene, mit welchen man sich dagegen die Drecksnazis gemein macht, das Problem sind: eben jene Demokraten. Sie sind es, die regieren und für die sozialen, ökonomischen, ökologischen und politischen Verwerfungen und nicht zuletzt die AfD verantwortlich sind. Angesichts der faschistischen Bedrohung schwer zu ertragen, aber die Unterscheidung von Gut und Böse durch „demokratisch“ und „undemokratisch“ taugt so viel, wie die Vorzüge eines KZs mit denen eines Gulags zu vergleichen (1 Sternchen für die Anreise).
Bevor ich jedoch die Frage beantworte, warum ein AfD-Verbot durch Fotzenfritz, Stalin und Hitler zum Dreier mit Mao motiviert hätte2 und warum die Wiege der Demokratie in der Kommune liegt und eine Babyklappe ist, eine Exkursion ins Reich des Fortschritts und der Aufklärung, die Emanzipation und Befreiung des Menschen, ein TikTokTripp durch die Demokratie.
Als erstes reichweitenstarkes Konzept, das die Herrschaft nicht auf eine willkürlich durch Geburt, Religion, Besitz erwählte Person oder Kaste überträgt, sondern in dem die Beherrschten selbst entscheiden, der Herrschaft des Volkes, pitchten die ollen Athener die Demokratie an die Startlinie. Das herrschende Volk begrenzte sich natürlich auf die Pimmel mit Bürgerrecht, aber immerhin. Das demokratische Mittel der Wahl war die Abstimmung.
2Scherz! Mao hatte gar keinen Schnauzer.
Schon den Wickelpäderasten fiel auf: Wenn alle entscheiden sollen, müssen alle Bescheid wissen. Logisch.3 Ein weiteres immanentes Phänomen der Abstimmung ist die „Diktatur der Mehrheit“. Soll heißen: Wenn „die Mehrheit bestimmt“ die einzige Regel wäre, könnte diese die Minderheit(en) gnadenlos unterdrücken. „Demokratie heißt Minderheitenschutz“ ist eine beliebte Phrase, um dem beizukommen. Das Ideal von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit ist’s, welches das Comeback der Demokratie dann nach langer Phase klerikaler und feudaler Umnachtung im finsteren Mittelalter, nach der Renaissance endgültig die Charts stürmen ließ. Frei, gleich und gerecht waren selbstverständlich nicht alle, Frauen und Juden gingen erst mal leer aus. Mit dem Backgroundchor des aufklärerischen Universalismus randalierten die Ideale dennoch durch die folgenden Jahrhunderte. Von göttlichem Segen und überlegenem Geblüt befreit, entledigte sich der bürgerliche Geldadel nach und nach der bis dato sakrosankten Monarchie. Gefüttert durch einen Marx, der feststellte, dass man ohne Essen nicht frei sein kann und dass Besitzender und Besessener nicht gleich sind, egal ob Adel oder Bürgertum nun die Massen ausbeuten. In seinem revolutionären Businessplan beschrieb er dann gleich die Demokratie als zu überwindendes Übel, einen Zwischenschritt hin zu tatsächlicher Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit im Kommunismus, der irgendwann nicht nur Kapitalismus, sondern auch Herrschaft überwunden haben wollte. Die Nummer mit dem Volk wurde obsolet, als man feststellte, dass Arbeiterleid sich nicht nach Nationalitäten unterscheidet.
3Das Argument gefiel besonders den Gegnern der Demokratie.
Die Idee der grenzübergreifenden Verbrüderung - sorry, Ladys: Nebenwiderspruch - des sich emanzipierenden Proletariats nannte sich international, weil der Zusammenbruch der monarchischen Herrschaftslegitimation dem Wahn einer nationalen Identität wich. Bewaffnete Arbeiter sind eine Gefahr für die Herrschaft, Soldaten morden für sie. AllgemeinerWehrpflichtSmiley
Zurück zur Demokratie: Anfang des 20.Jahrhunderts kam schon kein Staat, der was auf sich hielt mehr ohne Parlamentarismus aus, und als die letzten großen Monarchen mit Oktoberrevolution und verlorenem Weltkrieg „abdankten“, hatte die Demokratie sich endgültig durchgesetzt. Auch Frauen durften Hitler wählen und taten es mit allen bekannten Folgen. Stichwort: Holocaust.
Für die deutsche Demokratie ein Glücksfall: Im Angesicht des Scheiterns mörtelten die peinlich berührten Massenmörder aus den eigenen Erkenntnissen und dem gesammelten Wissen der Aufklärung unser heißgeliebtes Grundgesetz, die freiheitlichdemokratische Grundordnung. Die universellen Menschenrechte werden ins Grundprogramm geschrieben, die Kontrolle durch Gewaltenteilung soll faschismusfest machen und mit einem fetten „Nie wieder!“ im Klappentext ist das GG, so wird uns stets versichert, das Beste, was auf dem Verfassungsmarkt zu haben ist. Dass die Mütter und Väter der Bundesrepublik ihrem deutschen Volk nicht sonderlich viel Vertrauen entgegenbrachten, ist angesichts von 12 Jahren internationaler Massenvernichtung mehr als verständlich und so versteht man leicht, dass die Mitwirkungsmöglichkeiten sich auf einen 4–5-jährigen Multiple-Choice-Test reduzierten, bei dem nicht mal die Regierung gewählt wird und direkte Entscheidungen völlig ausgeschlossen sind. Gesiegt hat die Revolution dennoch ein bisschen, auch wenn die Mär von der „Sozialen Marktwirtschaft“ gelogen ist, hat man begriffen, dass ein sattes Proletariat lieber auf Arbeit geht als auf die Barrikaden. Da dann selbst im neuen freiheitlichen Deutschland der Widerspruch zwischen freiheitlichutopischer Grundbehauptung und traditionellem Autoritarismus, konventioneller Minderheitenrepression und kapitalistischer Ausbeutung zu groß war, bedurfte es dann doch noch mal einer liberalisierenden Kulturrevolution und des Zusammenbruchs der Sowjetunion, bevor letztendlich alles gut wurde und unsere Demokratie zu dem leuchtenden Vorbild für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit wurde. Hurra!
Also hinein ins pluralistische Getümmel, hinein ins Segensreich der Volksherrschaft, jetzt wird richtig hart vom Volk geherrscht.
Mit zarten 18 Jahren der Zurechnungsfähigkeit bezichtigt - (bei den unwichtigeren Kommunal- und Europawahlen neuerdings gar mit 16), darf die Bundesbürgerin am demokratischen Vollzug teilnehmen, sie darf wählen. Alle 4 Jahre, also schlimmstenfalls auch erst mit 22, begeben sich 50 - 80% der Wahlberechtigten, sind halt nie alle Volk, feierlich in die Wahllokale und geben ihre Stimme an eine der kandidierenden Parteien ab. Im sogenannten Wahlkampf klären diese Parteien über ihre Ziele und Motive auf, setzen sich mit den gesellschaftlichen und politischen Problemen auseinander und bieten ihre Lösungen feil. Damit im demokratischen Wettbewerb alles mit rechten Dingen zugeht, wacht die 4. Gewalt (inklusive eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks) darüber, dass der zur Entscheidung befähigte Bürger weiß, was los ist, informiert, sortiert, ordnet ein, hinterfragt. Der verantwortungsbewusste Staatsbürger ist informiert, kennt die schwierigen Fragen und heiklen Abwägungen, hat einen eigenen Standpunkt zu den großen Themen.
Die antretenden Politiker überzeugen mit Inhalten, mit durchdachten Positionen und einer klaren Weltanschauung. Sie achten darauf, was sie sagen, denn sie wissen: An unseren Versprechen werden wir gemessen. Politischer Hungerwinter 2025: Nachdem die vorige Regierung gescheitert ist, gibt es vorgezogene Neuwahlen. Der Deutsche Bundestag erklärt sich damit für nicht länger regierungsfähig, die Legitimität für wichtige Entscheidungen fehlt. Die liberale Demokratie wird mit Abschiebeparolen und Bürgergeldhetze vor den Faschisten verteidigt. CDU-Kanzlerkandidat Fotzenfritz macht u.a. das Versprechen, mit dem Fuß fest auf der sogenannten „Schuldenbremse“ zu bleiben. Wenige Wochen nach der Wahl - Rambo Zambo! - rutscht er ab und der designierte Kanzler beschließt mit einem abgewählten Bundestag das Gegenteil. Unter anderem, um für Krieg zu rüsten. Welchen, erfährt das kriegstüchtige Volk, wenn es so weit ist. Notfalls im Truppentransporter. Ob wer mit wem regiert ist zu diesem Zeitpunkt unklar. Business as usual.
In Sachsen wählten 40 % gesichert rechtsextrem. FRONTEX bekommt dank Migrationspakt endlich ein AwarenessTeam für traumatisierte Mitarbeiter. Donald Trump wird beim Wichsen vorm Musk-Poster erwischt. Die Linke ist gerettet: Heidi trendet auf Tik-Tok. Alle lachen.
„Volk ist dem Namen nach der Souverän. Aber es hat keinerlei Einwirkung auf die Entscheidungen, außer durch die Wahlen, in denen nichts entschieden, sondern nur die Existenz der Parteienoligarchie anerkannt wird. Die großen Schicksalsfragen gehen nicht an das Volk. Ihre Beantwortung muß das Volk über sich ergehen lassen, und es merkt oft gar nicht, daß etwas und wie es entschieden wird. […]
Die Parteienoligarchie dagegen wendet sich unmittelbar an die Massen. Sie spielt die Anonymität der großen Zahl gegen jeden Einzelnen aus. Sie hat es mit der Mehrzahl zu tun, aber wesentlich nur bei den Wahlen. Bei ihnen wird nicht über die schon fest bestehende, aber verborgene Solidarität der Parteienoligarchie entschieden, sondern nur über den verhältnismäßigen Anteil der Parteien an ihrem Familienbesitz, dem Staat. Wie der Wahlkampf geführt wird, an welche Instinkte er sich wendet, das charakterisiert diese Herrschaft.
Demokratie heißt Selbsterziehung und Information des Volkes. Es lernt nachdenken. Es weiß, was geschieht. Es urteilt. Die Demokratie befördert ständig den Prozeß der Aufklärung.
Parteienoligarchie dagegen heißt: Verachtung des Volkes. Sie neigt dazu, dem Volke Informationen vorzuenthalten. Man will es lieber dumm sein lassen. Das Volk braucht auch die Ziele, die die Oligarchie jeweils sich setzt, wenn sie überhaupt solche hat, nicht zu kennen. Man kann ihm stattdessen erregende Phrasen, allgemeine Redensarten, pompöse Moralforderungen und dergleichen vorsetzen. Es befindet sich ständig in der Passivität seiner Gewohnheiten, seiner Emotionen, seiner ungeprüften Zufallsmeinungen.
Die gemeinsame Schamlosigkeit der Parteienoligarchie spürt sich selber nicht. Die Parteienoligarchie fordert vielmehr Respekt, zumal die jeweils führenden Amtspersonen, die Kanzler, Minister, Präsidenten. Wir alle, denken sie, sind doch Vertreter des Volkes, wir können doch nicht schamlos sein. Wir sind durch die Wahl des Volkes geheiligt. Wer uns beleidigt, beleidigt das Volk. Kraft unserer Ämter haben wir die Macht und den Glanz, der uns zukommt.“
Was der Jaspers da 1966 herdystopierte, sieht dem was ist, ziemlich ähnlich und endet in der Diktatur. Vom Volk, so können wir also feststellen, geht sie nicht aus, diese Demokratie. Es begnügt sich damit, periodisch das Kreuzchen auf dem Los zu machen und das Ergebnis zu akzeptieren.
Wahlkämpfe haben wenig mit dem politischen Betrieb zu tun, weder thematisch noch in der wiedergegebenen Haltung. Sozialdemokraten setzen neoliberale Agenden um, Grüne greifen zu schweren Geschützen, die FDP schreit nach Subventionen. Ob oder was die Linke wohl macht, interessiert nicht einmal die Linke. Und des Wählers Amnesie, wer kann sie ihm verdenken, erinnert sich doch nicht mal die dafür bezahlte Presse, wer womit antrat und dann was machte.
Bleibt ja noch die Möglichkeit es selber zu machen. Gesagt, getan: Rein in Die PARTEI und nach sechs Jahren Wahlkampf aus der APO rein ins polit Buis, rein in den Dresdner Stadtrat. Immerhin ist die „Kommunalpolitik die Basis der Demokratie!“ Nirgendwo ist der Bürger der Entscheidung so nah, kann direkt die Auswirkungen erleben und sich direkt engagieren.
An dieser Stelle sollte ein umfassender (und titelgebender) Erfahrungsbericht über die „Realexistierende Demokratie“ am Beispiel folgen. Ein pointiertes BestOf der anschaulichsten Horrorstorys aus 12 Jahre politischer Satire und 6 Jahren Stadtratsmandat, dass nicht nur zeigt, wie undemokratisch unsere Demokratie ist, sondern wie schon in den Grundideen der Demokratie die Ursache ihres Scheiterns liegt. Wie die ganze hierarchische Organisation des Staates sein Gelingen unmöglich macht und die demokratische Struktur nur Instrument der Herrschenden(-)Ideologie ist. Demokratie bedeutet Unterwerfung und Verantwortungsabgabe. Mit der Stimme gibt man die Verantwortung ab. Uns interessiert oft nichtmal an wen. Die ist ja dann auch nicht verantwortlich, verantwortlich ist die Mehrheit und damit immer irgendwer anders.
Wer ein selbstbestimmtes Leben führen will, kann doch nicht glauben es sei damit getan, alle 4/5 Jahre ein Kreuz zu machen und sich über das immergleiche schlechte Ergebnis zu wundern, während sie vorher weiß, dass Politiker lügen und der Chef ohnehin allein herrscht.
Wer sein Kreuz macht, akzeptiert das Spiel, akzeptiert das Ergebnis. Heute schon Armut, Militarisierung und mediterranen Massenmord. Demnächst auch Faschismus. Das Preisen der Demokratie ist nichts anderes als das einschwören auf Gehorsam, wo zu folgen, schon Verbrechen ist. Und statt zu fragen, warum Deutschland (und Z.B. auch die USA) leuchtend Grün auf jedem Demokratieindex leuchtet und sich‘s so undemokratisch lebt, ist die Frage vielleicht, ob diese Demokratie nicht einfach keine allzugute Idee ist. Und‘s vielleicht eine neue braucht.
Aber dafür ist der Text einfach schon zu lang. (Und der Abgabetermin zu nah.) Bis dahin4 reicht‘s fürs erste, wenn wir5 alle Parteien verbieten.
4Tryptichon Teil 3
5Die PARTEI
