Revolutionstryptichon I
Schriftenreihe der GVS-TWA
Autor: Max Aschenbach
Nummer: VX-01 / 2025
Datum: 13.11.2025
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Zusammenfassung
Dieses Dokument analysiert die Bedingungen, Möglichkeiten und Widersprüche satirischer Vernunft im Kontext politischer Stiftungspraxis und dialektischer Kritik. Es erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, wohl aber auf Klarheit im Widerspruch.
Teil 1: Politische Bildung
In einem sind sich alle naja, sagen wir fast alle einig: Es ist nicht sonderlich gut bestellt um dieses unser politisches System. Die Demokratie ist bedroht, wie es so schön heißt.
Immer mehr Menschen wählen rechtsextrem und autoritäre Weltvorstellungen sind über alle Lagergrenzen hinweg auf dem Vormarsch. Kapitalismus, genauer Neoliberalismus ist Armenverachtung, ist Common Sense, rassistische Abschottungspolitik, kontinuierlicher Sozialstaatsabbau, repressive Verdrängung, soziale Ächtung inklusive. Wir erleben die
Normalisierung von Krieg als Mittel der politischen Auseinandersetzung, Nationalismus, Militarismus, Massenmord. [Stimme aus dem OFF: Vergessen Sie die vergewaltigten Frauen nicht!] Genau, und Männer! Das ist nicht neu, wurde schon oft vermerkt, neu ist nur immer wieder, dass zwischen diesen Feststellungen die Welt jedes Mal ein kleines oder großes Stückchen faschistischer und unmenschlicher geworden ist. Das gilt es immer wieder
zu bemerken.
Ist das gerührte Entsetzen dem wohligen Schauer gewichen, dass es irgendeinem Arschlöch:in schlechter geht, begegnet man im aufgeklärten Gespräch ratzfatz einer
hiebundstichfesten Analyse: Es mangelt an Bildung. Die Leute müssen politisch gebildet werden! Wir brauchen mehr politische Bildung! Da sind sich alle einig. Egal ob der christdemokratische Demokratie-Professor, die ratlose Sozialdemokratie oder beleidigte Grüne, linke Revoluzzer oder bürgerliche Intellektuelle, Singles mit Niveau oder von Natur aus gute Kulturmenschen, bei politischer Bildung sind sie alle dabei.
Das schwammige Etwas, welches man da vermisst und so gerne verbreiten würde, während man sich gegenseitig tief in die wissenden Äuglein schaut, ist wohl das, was zur
emanzipierten, kritischen, selbstbestimmten Person macht, die man selbstverständlich ist. Drum wird für gut befunden, was man irgendwie so nennen kann: politische Bildung. Ich weiß bis heute nicht, was die alle meinen. Kaum jemand, die nicht gezwungen wird, liest Definitionen. Schon gar keine langen. Erst recht nicht zu so banalen Begriffen. Also speist sich dieser Begriff wohl oder übel aus dem Alltagserleben. Die Selbstverständlichkeit, mit der von politischer Bildung gesprochen wird, lässt mich vermuten, sie widerfährt jedem also auch mir.
Und was bin ich, als ein x-beliebiges Beispiel? Politische Bildung Ein paar (autobiografische) Angebote:
- Frühkindliche Bildung
1985 in der DDR geboren, 1990 erstes politisches Streitgespräch im Kindergarten: Die Systemfrage, ob DDR nun BRD sei oder BRD DDR, konnte trotz hitziger Auseinandersetzung zu diesem Zeitpunkt nicht geklärt werden. Meine Kontrahentin hatte Recht. Schamgefühle! Merke: Die Systemfrage entscheidet sich nicht im Kindergarten und das Kind nicht im System. - Schulische Bildung
Ideologisch desorientierte Lehrer, die vom Alten (System) nicht mehr erzählen durften oder wollten und das Neue noch nicht begriffen, hinterließen ein Vakuum an politischer Bildung. [Der politische Bildungssomelier genießt: Damit waren sie der folgenden neoliberalen Umwälzung zur Ideologiefreiheit voraus!] Über das Organigramm der Gewaltendreiteilung und des bundesrepublikanischen Parlamentarismus reichte der Unterrichtsstoff in Wirtschaft und Recht oder Sozialkunde nicht hinaus. Praktische Erfahrungen der Partizipation beschränkten sich auf die Wahl des Klassensprechers, irgendein Streber, dessen (bürokratische) Bütteldienste niemanden interessierten.
Falls es Schülerräte oder dergleichen gab, habe ich, trotz ungewöhnlich hoher Zahl an besuchten staatlichen Bildungseinrichtungen, nie davon erfahren. Abseits der schulischen Abrichtung erfreute man sich in den Elternhäusern am zu erlernenden Konsum, an Reisefreiheit, der wiederkehrenden Begegnung mit kollektiver Existenzangst und zertretenen Hoffnungen auf etwas Besseres.
Durch die Nachrichten rauschen Ölkriege, Treuhand- und CDU-Spendenskandale, pazifistische Streubomben beGRÜNEn den Kosovo und die Sozen vollziehen mit Hartz IV den inneren und äußeren Schwur auf den Neoliberalismus. Oskar Lafontaine macht Sahra klar. Jelzin fällt vor Lachen besoffen von der Bühne. - Universitäre Bildung
Umzug nach Sachsen zum Kunststudium in Dresden. 9,2 % NPD im Landtag, politische Bildung kein Thema. Damit Höcke und der internationale Neonazismus ungestört Bombenholocaust feiern können, lassen Polizei und (österreichischer) Rektor das drollige Hitlerportrait eines Studenten aus dem ehrwürdigen Barockkunsthochschulfenster entfernen.
Die Studentenschaft wähnt sich natürlich durchweg links, Klärung, was das bedeuten könnte, exklusive. Die eklektizistischen Philosophieseminare, zwischen Sokrates, Heidegger und Feyerabend hüpfend, sind der Erwähnung nur wert, um die Bedeutung des Wortes Akademiker durchzustreichen. Oder glaubt irgendwer, dass naturwissenschaftliche, technische oder unwissenschaftliche (z. B. BWL) Studiengänge gesellschaftliche oder gar politische Bildung enthielten?
Lediglich die jährlichen StuRa Wahlen1 Wahlbeteiligung ca. 20 %, um den Studen tenrat auszusuchen, der Erstsemesterpartys veranstaltet könnte man zum weiten Feld der politischen Bildung zählen.
Eher zufällig, durch die sächsische Hochschulreform und die Aussicht, im postgradualen Meisterschülerstudium unbezahlt für die Hochschule arbeiten zu sollen, radikalisiere ich den Diplomjahrgang. Als ich mich uneingeladen in irgendwelche Gremiensitzungen setze, werde ich für den studentischen Vertreter gehalten und deswegen nicht rausgeschmissen.
Verblüfft entdecke ich also mit Mitte zwanzig das Konzept der Mitbestimmung. Es ist im Selbstverständnis und in den Strukturen dieses Staates vorgesehen, dass jede:r überall mitbestimmen darf. Prompt teste ich das neuentdeckte Werkzeug als tatsächlicher studentischer Vertreter bei einer Professurbesetzung. Die Kandidatin, die alle Studierenden aufgrund eines vorangegangenen Lehrauftrags ablehnen, wird berufen.
1 Wessis googeln - Die PARTEI: APO
Dem behüteten Schoß der universitären Ausbildung entronnen, endet die Freiheit der Kunst bei der monatlichen Miete. Fürsorglich macht mich das Jobcenter mit dem
politisch gebildeten Sozialstaat vertraut: Aufmerksam die drei Seiten Drohungen für jede Terminabsprache lesend, die offensichtlich nicht sinnvoll ausfüllbaren Formulare
stupide befolgend und immerhin hin- und wieder Atelier, Reise- oder Materialkosten verdienend, bleibe ich als selbstständiger, akademischer Künstler unvermittelbar
und dank kognitiver und diplomierter Fehlstellung vom staatlichen Psychoterror und opportuner BILD-Hetze unbeeindruckt.
Stattdessen rutsche ich in den demokratischen Widerstand: Die PARTEI Dresden übernimmt ab 2013 zunehmend mein Leben. Politische Bildung durch Stammtisch, Tagesgeschehen und die Teilnahme an jeder verfickten Wahl. Der Fokus verändert sich zwangsläufig, Bundesschlagzeilen aus Tagesschau, Springer und aSozialem Internet weichen dem direkten politischen Kampf gegen Sachsen. Wenn die Welt Faschismus rotzt, sucht man in Sachsen schon vergeblich ein Taschentuch. Mit Heimat-Rufen, Abschiebefantasien und Gendergaga füttert Sachsens CDU die erstarkende AfD. Justiz und Polizei verfolgen Antifaschistinnen.
Während PEGIDA in der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung rassistische Parolen brüllen darf, überlegt Dresdens Bürgertum, ob es nun lieber schon Heil Hitler! oder noch Ausländer raus! rufen sollte. Im Hinterland versteht man die Frage nicht.
Während die demokratische Mehrheit ausschließlich ums Image besorgt ist Es sind ja nicht alle Sachsen rechts! Ach? macht sich Die PARTEI mit penetrantem Antifaschismus bei der bürgerlichen Mitte unbeliebt. Die satirische, legale Teilnahme am politischen Geschehen, an Wahlen wird selbst zum erheiternden Akt der Selbstverteidigung. Polizei, Staatsanwaltschaft, Versammlungsbehörde, Gerichte und Ordnungsämter werden zu liebgewonnenen Brieffreunden+.
Die stets neugierigen und für lustige Storys dankbaren Journalisten scheitern grundsätzlich an ihren Redaktionen. Die bloße Existenz der PARTEI ist auch nach Jahren medial zweifelhaft. Im Schmus aus Unrecht und Doppelmoral lassen sich mit Satire hin und wieder allzuweitoffene Türen eintreten. Die folgenlose, oft erboste Entrüstung über die gesellschaftliche Hässlichkeit motiviert. Immerhin!
Im PARTEI-Inneren beginnt der Kampf gegen die Parteiwerdung. Anderer Vorbilder mangelnd und gesetzlich zur Struktur gezwungen, orientiert man sich als Satirepartei bei der Selbstorganisation zunehmend an Parteien und nicht an der Satire. Das Manifest schafft Abhilfe2 .
2 ein bisschen - Politische Bildung durch Politik
2019 von der APO in die IPO. 1,8 % der Dresdner Wähler:innen irren und wählen mich in den Stadtrat. Nichtsahnend nehme ich zur Vorbereitung eine Einladung zum Demokratiesymposium in Leipzig an. Professoren und Doktoren aus Gesellschaft und Geschichte berichten Erstaunliches über diese Demokratie: Weil schon den alten Wickelpäderasten klar war, dass dieses Volk3 auch wissen sollte, was es tut, wenn es sich selbst beherrscht, zahlte es dem fischfangenden Prekariat Verdienstausfälle für den Theaterbesuch. Demokratie sei Austausch, Debatte, Kompromiss und vor allem NICHT die Diktatur der Mehrheit, sondern Minderheitenschutz.
Alle Publikumsversuche, die Gelehrten und ihre schöne Theorie auf der Bühne mit dem realexistierenden Demokratiesimulakrum bekannt zu machen, scheitern. In der Pause erzählt man von Abhängigkeiten als Historiker:in von politischen Stiftungen, und die gut gewickelte Professorenschaft für politische Bildung klagt ihr Leid: Man erreiche die Leute nicht. Womit? Na so was wie diesem Symposium. Zwei Monate später lasse ich im Stadtrat den Nazinotstand ausrufen und verstehe fünf Jahre lang die Demokratie und ihre Mechanismen von innen. Lese Weber, Jaspers, Habermas und finde zum Anarchismus, zur Revolution4.
3 hier: Bürger, Nicht Volk: Frauen, Sklaven, etc.
4 est. 2021 by Die PARTEI Dresden Die Pazifistisch Anarchistische Revolution toxisch eklektizistischer Inkonsequenz - Revolutionäre Brüsselreise
Eine besonders wertvolle Form der politischen Bildung ist der bezahlte Abgeordnetenbesuch. Vom heimischen Parlamentslimbo ausgehürdet, muss der PARTEI-Idiot nach Brüssel reisen.
Von Alterspräsident Martin Sonneborn und Newbie Sybille Berg zur Höflichen Revolution geladen man wolle wissen, wie Die PARTEI dazu stehe gings also zur Expedition in die europäische Demokratie. Die Frage nach der Revolution sehr ernst nehmend (siehe Teil 3), organisiert sich eine bundesdeutsche Auswahl, zusammengewürfelt aus einigen, die bereit schienen, bis drei zu zählen, in Schaltkonferenzen und eigens erworbenem, supersicherem Scheißmessenger, und wirft erste Revolutionsgedanken hin und her.
Die acht Stunden Fahrt spricht die sächsische Delegation (ca. 28 63) über Revolutionsideen, liest sich Definitionen vor, diskutiert Vergangenheit, Gegenwart, Bar-
rikadenbau, Biografien und Kuschelutopie. Autodidaktische politische Bildung auf der Autobahn.
Kaum ins possierlich hässliche Brüssel gekotzt, werden die Diskussionen ausgeweitet, der bundesdeutsche, mehr oder weniger bekannte Reigen abgetastet. Mit subventionierten Pommes (wg. politischer Bildung), Bier und von 0 auf 100 beim ersten Bier diagnostiziert Die PARTEI bundesweite Systemwechselwilligkeit bis es zu spät ist:
Am nächsten Morgen strahlen verkaterte, übernächtigte PARTEIler:innen sich an, vergewissern sich, nicht allein geträumt zu haben, und stürmen erwartungsfroh die Barrikaden der Reisekostenerstattung: Demokratie und politischem Bildungsauftrag verpflichtet, beginnt die Revolution im Parlamentarium, dem frisch zugerichteten Besucherzentrum des ehrwürdigen Europäischen Parlaments, sonst gibts kein Geld.
Im tristen Brüsseler Betonwetter sieht man durch die gedrückte Glasfront intereuropäische Besuchergruppen am Security Check Schlange stehen. Das teure Parkett, die geschmackvoll lackierten Pressspanteken und das freundliche, durchweg attraktive Sicherheitspersonal täuschen ungewohnt wertschätzend darüber hinweg, dass ein Besucherzentrum, das Angst vor seinen Besucher:innen hat, nicht davon zeugt, dass das Besuchte sich sonderlich beliebt wähnt.
Wenns dabei um die gesellschaftskonstituierende Demokratie, also die Herrschaft des Volkes, geht, was ist da los, wenn das herrschende Volk davon ausgeht, dass das beherrschte Volk ihm ans Leder will? [Max Frisch Zitat] Aber seis drum, alles für die Sicherheit!
Die Schleusen des Vertrauens spülen uns direkt in die Arme der Europäischen Demokratie, wie sie gerne sein möchte: weiblich, zwischen 25 und 45, nicht über 165, schlank, mindestens Busen, gepflegt, geschminkt, gebildet, figurbetonendes Uniförmchen man überreicht mir freundlich lächelnd ein technisches Ding und Kopfhörer und zeigt in den Abgrund.
Auf drei Stockwerken präsentiert die EU in drei Gängen mit schicken Leuchtbildchen und Kurztextchen von Hitler, De Gaulle und Kohl und Kohle und Verträgen und Tralala. Der Informationsgehalt entspricht etwa dem Lesen des Inhaltsverzeichnisses des Wikipedia-Artikels.
Im Keller wirds interaktiv, da gibts sogar Touch Displays. Alles leuchtet schön. Die Räume sind gut klimatisiert. Gar nicht so schlechte Kunstwerke leiden als beliebige Dekoelemente. Der Getränkeautomat ist überraschend günstig. Ich habe den Eindruck, das Europäische Parlament lässt es sich einiges kosten, mich mit Blödsinn politisch zu bilden. Noch ein paar Security Duschen I like it! und weiter zum zweiten unvermeidlichen Teil der politischen Bildung à la EP: Das Gespräch mit einem der hochqualifizierten Besucherqualifikationsbeamten. Politische Bildung vom Fachmann, der zum legeren Gespräch motiviert, zu berichten weiß, dass, auch wenn das Parlament wenig zu melden hat und im nationalstaatlichen Gedöns oft kein Fortkommen scheint, weil z. B. irgendwelche demokratischen Entscheidungen wie Wahlen oder Volksentscheide dazwischenkommen, die Anliegen dann einfach hinterher, statt z. B. in einer Verfassung, in einem Vertrag beschlossen würden und das zeige doch, dass die EU letztlich gut funktioniere. Genau! Democracy Smiley.
Dem Pflichtprogramm demokratischer Konditionierung folgt folgerichtig die Höfliche Revolution. Europaparlamentarier:innen und die geladenen Referent:innen besuchen für ein paar Minuten die Die PARTEI-Besuchergruppe. Wofür genau, bleibt unklar, Fragen seien nach dem Vortrag sinnvoller, der befähige uns ja erst zum Gespräch. Dennoch vibed man den aufgewühlten Mob schon mal ein: Wir sind alle Arbeiterklasse! gesteht ein Parlamentsmitglied. Entsprechend das politische Bildungsprogramm: Zwei bekennende Jungmarxisten klauen pfiffig dem Neoliberalismus einen 60 Jahre alten Bleistift und verkünden korrekt, dass Kapitalismus ist und dieser nicht im Sinne seiner Opfer handle. Den toten Opa [Keynes] auf der Leinwand besiegen die beiden schlagfertig mit Uropas Parolen. Die Sprache unpräzise, prätentiös, mäandernd. Die deutsche Arbeiterklasse 2025 erklären die YouTube-Intellektuellen am elenden Los des deutschen Autobauers. Als revolutionären Vorschlag ermutigen sie zu höheren Lohnforderungen, ein bisschen mehr vom selbstgebackenen Küchlein abzuringen! Kokett schmunzelnd stellt man im Nebensatz die unpolitische Haltung der deutschen Gewerkschaften in Frage, ohne diese zu erklären, und fordert dazu auf, in die Gewerkschaften revolutionäre Hoffnungen zu stecken. Dass es der Staat ist, der Kapitalismus durchsetzt, wird kurz erwähnt. Als umstürzende Handlungsmöglichkeit wird die individuelle Verweigerung à la (Haus) 5 Bartleby offeriert. Im Roman geht der sympathische I prefer not to-Verweigerer Bartleby elendig zugrunde, so wie jeder revolutionäre oder intellektuelle Anspruch an diesen Vortrag.
Wer die deutschen Autobauer als zu befreiende Arbeiterklasse ansieht, vergisst nicht nur mehrere Revolutionen, blutige Kämpfe und tote Arbeiter:innen, die erstritten, dass es denen gerade verhältnismäßig gut geht, sondern auch die, die seit Jahrzehnten auf gleichen Lohn verzichten, damit ihr Werk nicht geschlossen wird. Und erst recht das arbeitende Prekariat, das zum Dreckslohn 40 Stunden in der Woche putzt, telefoniert, inkludiert, pflegt oder von Befristung zu Befristung taumelt. Spätestens mit Marxens evidenter Forderung, der Aneignung der Produktionsmittel, beißt das Dienstleistungsprekariat ratlos in die CallCenter-Tastatur.
Und es mag der ostdeutschen Sozialisation geschuldet sein, doch als ich die Rathausputzfrau (Mindestlohn) fragte, ob sie schon wisse, dass der Kapitalismus böse sei, nicht in ihrem Interesse handle, hat sie gelacht. Im Zusammenhang mit Revolution auf die Gewerkschaften zu hoffen, mag plausibel sein, wenn man mit Vorträgen bei DGB, Verdi und Kreissparkasse seine Miete herquatschen muss; im Antlitz einer Satirepartei den sozialdemokratischen Widerstand zu beschwören, ohne die Untrennbarkeit der Regierungspartei SPD und der Gewerkschaften zu erwähnen, zeugt bestenfalls von eigenartigem Humor. Ungefähr so, wie als selbsterklärte Arbeiterpartei die neoliberale Transformation des Sozialsystems 6 zu vollziehen. An dieser Stelle muss auch gestattet sein zu fragen, was (nicht nur) Die PARTEI mit sozialdemokratischem Gewerkschaftsglauben als politische Bildung anfangen soll? Oder an wen sich dieses Format der politischen Bildung richtet, das der Vorgebildeten bestenfalls das Bekannte wiedergibt und meine Rathausputzfrau sicher nicht erreicht. Da kann ich sie auch gleich zur AfD schicken.
Wie systemerhaltend kann Systemkritik sein, könnte man fragen, aber wer will so kleinlich sein immerhin wurden wir politisch gebildet. Und das ist per se zu begrüßen! Ist es nicht.
5 Hrsg. Haus Bartleby, lesenswerte politische Bildung im vorrevolutionären Denken
6 Agenda 2010/Hartz IV
Abruptes Ende, zwei steile Thesen und ein Arbeitsauftrag:
1. Wenn eine politische Bildung sagt, fragt man: Welche?
2. Wenn Die PARTEI sich als Satirepartei ernst nimmt, sollte sie sehr genau aussuchen, welche politische Bildung sie sich wählt, und
3. sie sich selbst ausdenken.
